Über einen Hund reden
18. August 2010
Verfasst von - Worüber reden wir wenn wir über einen Hund reden? Sprechen wir über unsere Vorstellung, über den Hund oder sogar nur über den Begriff selbst?
Zueignung
Dieser Artikel scheint zunächst für sich allein zustehen. Doch dieser Eindruck täuscht, denn er ist eine Reaktion auf einen anderen Artikel, welcher wiederum eine Reaktion auf einen Artikel darstellt, der nie ohne die Antwort auf meinen Kommentar zu einem Blogeintrag von amruthgen entstanden wäre. Oder um es kurz zu fassen: Hier wird ein moderner Briefwechsel abgehalten, dessen Aufgabe die Erörterung des Verhältnisses vom Individuum zu einer Sprache ist.
Einen Hund sehen
Stellen wir uns vor: Bertrand geht mit seiner Frau im Park spazieren. Auf einmal sagt Bertrand zu seiner Frau: „Schau dort, ein schwarzer Hund.“. Seine Frau widerspricht ihm: „Dieser Hund ist nicht schwarz. Er ist schwarz-braun.“ Bertrand kann ihren Einwand so nicht akzeptieren und schlägt vor, zum Gegenstand des Streits zu gehen, um zu überprüfen, wessen Behauptung stimmt.
Später in der Universität berichtet Bertrand seinem Freund Ludwig von diesem Vorfall. Ludwig fragt ihn: „Vertraust du deinen Sinnen nicht mehr?“. Bertrand erwidert, dass seine Sinne ihn bisher tadellos durch das Leben geführt haben und merkt an, dass sich seine Frau zu täuschen scheint. „Seltsam“ antwortete Ludwig und kommt nach kurzen philosophischen Überlegungen zu dem Ergebnis: „Ihr benutzt das gleiche Wort, um diesen Hund zu bezeichnen, aber beide nehmt ihr ihn unterschiedlich wahr; könnt ihr dann überhaupt von der gleichen Bedeutung des Wortes ausgehen, wenn ihr eure Welten so unterschiedlich wahrnehmt?.
Meine Vorstellung, deine Vorstellung – unsere Sprache
Das Problem das Ludwig beschreibt, behandelt die individuellen Vorstellungen, die sich Menschen von Gegenständen machen und auch den Fehlschluss, dass die Bedeutung eines Wortes in unserer Vorstellung liegt – wäre dies nämlich der Fall würden wir nie über die gleichen Gegenstände sprechen können und die Bedeutung unserer Worte wäre höchst individuell, fast schon privat, wodurch eine öffentliche Sprache nicht möglich ist. Wo liegt nun die Bedeutung von Worten?
Sprache ist wie jedes Spiel ein System, dass nach Regeln funktioniert. Die Regeln legen fest, was getan werden soll und was unterlassen werden soll. Sie geben Anweisung wie etwas zu gebrauchen ist – sei es eine Figur im Schach oder ein Wort in einer Sprache. Wenn ein Wort einer Regel unterliegt, so tun es alle anderen auch, sonst wäre eine Sprache nicht verständlich, denn wie Wittgenstein schon sagt: „Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen.“ (PU 199)
Sollte es wieder vorkommen, dass Ludwig und Bertrand über einen Hund reden, so ist es egal, welche Vorstellung sie von diesem Tier haben – einer mag an einen Schäferhund denken, der andere an einen Dackel; beides sind Hunde. Es ist auch egal, wie der Hund in der Vorstellung aussieht oder welche Fellfarbe er hat und wie sie auf eine Person wirkt, so lange beide die Regel des Gebrauchs für das Wort Hund verstanden haben und richtig anwenden, funktioniert die Sprache zwischen ihnen und die Sprache kann als öffentliche Sprache bezeichnet werden.
Die Bedeutung eines Wortes ist nicht die Vorstellung, die ein Individuum von einem Gegenstand hat, sondern die Regel nach dem ein Wort in einer Sprache verwendet wird. Denn wie müsste eine Vorstellung eines Hundes beschaffen sein, um auf alle Hunde zuzutreffen? Sie müsste groß und klein; wuschlig und kahl; aggressiv und liebenswürdig zugleich sein. Dieser Hund müsste alle Augenfarben haben und doch nur eine. Die Vorstellung als Referenzgegenstand heranzuziehen, birgt mehr Schwierigkeiten, als sie sich einer denken kann.
Worte erwerben
Von klein auf wurden Bertrand und Ludwig die Regeln der Worte beigebracht, denn nur wer die Regeln beherrscht und richtig anwendet, kann in einer Sprachgemeinschaft an einem Sprachspiel teilnehmen. Das Lernen der Worte erfolgt dabei, als eine Art Programmierung ihres Verstandes. Dieses Abrichten erfolgt ab der frühsten Kindheit und sorgt dafür, dass sie die Worte und die Gebrauchsregeln der Worte verinnerlichen. Mit hinweisenden Gesten unterstützen Eltern und die Gemeinschaft den Lernprozess, denn das Kind erwirbt die Worte um Gegenstände zu bezeichnen, in dem Eltern darauf zeigen und das Wort nennen. So lernen Kinder, wann sie von einem Hund sprechen können und wann nicht. Wittgenstein fasst diesen Prozess wie folgt zusammen: „Das Lehren der Sprache ist hier kein Erklären, sondern ein Abrichten.“ (PU 5).
Das Lernen der Worte geschieht nicht von heute auf morgen. Es ist ein jahrelanger Prozess bei denen die Kinder das Sprechen – die Aussprache, das Bezeichnen und das Verwenden von Worten üben. Zunächst scheinen sie sich zu wiederholen, wenn sie einen Hund immer wieder als Hund bezeichnen, aber in diesem Übungsprozess lernen sie die Regel für den Gebrauch des Wortes Hund. Sie verinnerlichen die Eigenschaften eines Hundes und ab einem gewissen Punkt, haben sie die Regel erlangt und befinden sich nun in der besonderen Situation, dass Wort Hund potentiell unendlich oft richtig anzuwenden. Einer unendlichen Reihe steht nichts mehr im Weg. Zwar mag an dieser Stelle etwas Skeptizismus über den richtigen Gebrauch angebracht sein, aber mit den Erfolgserlebnissen, wächst auch das Selbstbewusstsein und damit die Sicherheit im Verwenden der Worte.
Mein Erleben – dein Erleben
Zurück im Park. Bertrand hat Ludwig in den Park geführt um ihn das Objekt des Streites zu zeigen. Leider findet er den Hund nicht mehr. Beim Suchen rutscht Bertrand auf nassem Laub aus. Unter leichten Schmerzen und einem grummeln, steht er auf und Ludwig wirft ihm die Frage entgegen: „Und hätte deine Frau, dass auch gefühlt?“.
Bertrand glaubt, dass Ludwig ihm eine einfache, fast schon banale Frage stellt, auf die er schnell mit einem Ja antworten kann; aber woher will er wissen, dass seine Frau wie er Schmerzen fühlen kann und dass sie den Schmerzbegriff wie er verwendet, wenn sie ihn denn besitzt?
Worte für das eigene Innenleben kennen zu lernen, ist ein wagemutiger Prozess der nur mit kompetenten Sprechern einer Sprachgemeinschaft begonnen werden kann. Nehmen wir an, der sehr junge Ludwig fällt hin. Zunächst stößt er einen Schrei aus. Er weint. Seine Mutter kommt, um ihn zutrösten. Gleichzeitig sagt sie ihm, dass er Schmerzen hat. So lernt der junge Ludwig, dass dieses nicht-begriffliche Gefühl, dass man hat, wenn man hingefallen ist, als Schmerz bezeichnet werden kann. Das Wort Schmerz wird so zum Überbau des Gefühls. Auf die gleiche Weise werden Worte für andere Gefühlszustände erworben.
Was passiert nun, wenn der junge Ludwig einen anderen Jungen fallen sieht? Dieser fällt hin und schreit. Seine Mutter tröstet ihn. Wie rechtfertigt Ludwig nun seine Aussage, dass der andere Junge Schmerzen hat? Zunächst geht der junge Ludwig davon aus, dass der andere Junge, genau wie er selbst Schmerzen empfinden kann und diese in dem Moment auch empfindet. Er geht auch davon aus, dass er Schmerzen empfunden hätte, wäre er, anstelle des anderen Jungen, hingefallen. Der Maßstab für Urteile über andere Personen ist also der junge Ludwig sich selbst. Genau wie er Maßstab für seine Welt ist, wäre jede andere Person Maßstab für ihre eigene Welt und hier liegt das Problem begraben. Denn die Behauptung, dass andere so empfinden, wie man selbst, muss nicht zwangsläufig zutreffen.
Wie würde sich der junge Ludwig entscheiden, wenn er einen Spartiaten hinfallen sieht? Diesen Kriegern wird nachgesagt, dass sie keinen Schmerz empfinden. Nehmen wir an, der Spartiat fällt und man hört keinen Schrei oder sieht kein Schmerzverzogenes Gesicht. Hat dieser Krieger nun Schmerzen?
Wie würde sich der junge Ludwig entscheiden, würde er einen Schauspieler hinfallen sehen? Spielt derjenige den Schmerz nur oder ist er echt? Wie kann er das unterscheiden?
Ist es möglich, dass eine Person ohne physischen Ausdruck lachen kann? Kann sie lachen, ohne ihre Gesichtsmuskeln zu betätigen, ohne Geräusche auszustoßen. Kann sie einfach nur den inneren Zustand des Lachens besitzen?
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